Manchmal werden sogar Vollzeit-Propheten überrascht. Im Dezember 2019 erkor die Farbinstanz Pantone, deren Geschäftsmodell im Grunde darauf basiert, Farbtrends vorherzusagen, die Farbe „Classic Blue“ zur Farbe des Jahres 2020. In der Begründung hieß es damals: „Viele von uns fühlen sich ängstlich, völlig überlastet und ständig gestresst“. Ein dunkles Blau – die Farbe von Heidelbeeren, der europäischen Flagge oder eines Spätabendhimmels sollte dabei helfen, zu entspannen. Wie sehr wir diese Entspannung bald benötigen würden, konnte Pantone nicht ahnen, als es seine Prognose abgab. Die Coronakrise hat viele Trendvorhersagen, wie zum Beispiel das zunehmend akzeptierte Arbeiten im Homeoffice, nicht umgeworfen, sondern im Gegenteil: stark beschleunigt.
Wie wird etwas zum Trend?
Um das zu verstehen, muss man noch ein Stückchen weiter zurückgehen. Etwa ein bis zwei Jahre bevor die Farbe des Jahres gekürt wird, haben Trendagenturen wie WGSN bereits ihre Prognosen herausgegeben. Sie haben Moodboards zusammengestellt, die Streetstyles von kreativen Trendsettern, Megatrends und aktuelles Zeitgeschehen visuell verdichten und von diesem Ergebnis ableiten, was wir Konsumenten in einem oder zwei Jahren kaufen wollen. Farben sind ein wichtiger Teilbereich dieser Vorhersagen, auf die sich Stoffhersteller ebenso wie Designer stützen. Sie beziehen diese Informationen in ihren kreativen Prozess ein und fertigen basierend darauf ihre Stoffe und Zutaten. Die Designer fahren auf Stoffmessen, auf denen sie Stoffneuheiten begutachten und damit ihre Kollektion planen. Eine erste Tendenz zeichnet sich ab.
Was ist überhaupt ein Trend?
Das Wort „Trend“ wurde anfangs an der Börse verwendet und anschließend von Mathematikern aufgegriffen. Das Zukunftsinstitut, ein deutsches Forschungs- und Beratungsunternehmen, das sich mit Zukunftsfragen beschäftigt, beschreibt den Trend als eine „Veränderungsbewegung“ und der große Brockhaus von 1957 sieht ihn als „die Grundrichtung einer Zeitreihe“. Neben saisonalen Modetrends und mittelfristigen Produkttrends gibt es auch länger anhaltende gesellschaftliche Trends, die zum Beispiel mit der demografischen Entwicklung oder mit Technologisierungsprozessen zusammenhängen. Diese Punkte zu beschreiben und vorherzusagen sowie daraus Handlungsempfehlungen zu erstellen, ist die Aufgabe der Zukunftsforscher, die ihre Ergebnisse dann mit Unternehmen teilen.
Lässt sich der Trend in Zahlen festmachen?
Der Einfluss dieser Zukunftspropheten auf die Mode lässt sich sogar mit Zahlen belegen: So sagte Pantone voraus, dass die Farbe von 2018 ein lilafarbener Ton namens „Ultraviolett“ sein würde. Zwischen 2017 und 2018, so der Onlineshop Moda Operandi, gab es einen 28-prozentigen Anstieg der Bestellungen von lilafarbenen Produkten. 2019 war „Living Coral”, ein Korallenrosa, die Farbe des Jahres. Der Onlineshop stellte einen 62-prozentigen Anstieg der Bestellungen von rosafarbenen Produkten fest.
Ist das alles nur eine selbsterfüllende Prophezeiung?
Wollen die Menschen jetzt auf einmal genau dieses Blau, das Pantone zum Trend erklärt hat, oder kaufen sie es nur, weil Designer jetzt wegen Pantone Kleidung in dieser Farbe anbieten? Ein Änigma, das fast ein wenig an die Filmszene erinnert, als Neo, der Held aus der Matrix-Trilogie, das Orakel besucht. Sie sagt ihm: „Wegen der Vase mach dir keine Sorgen“, worauf er sich fragend umdreht und eine Vase umwirft. Eine selbsterfüllende Prophezeiung also. Ganz klar lässt sich die Frage wohl nicht beantworten, was zuerst da war—der Trend oder die Trendprognose.
Aktuell wird übrigens der neue Matrix-Film gedreht. Und schon jetzt steigen die Suchanfragen nach langen Ledermänteln.
ZITATE:
KJAER Global
„Wird die Welt zur Normalität vor der Pandemie zurückkehren? Wir denken nein. Wir sehen ein neues Paradigma, das von fürsorglichen Individuen geprägt wird, und glauben, dass die Zukunft rosig ist, wenn Maschinen lernen, Menschen einen Sinn finden und KI für das Gute arbeitet.
ODER
„Die Zukunft ist nicht irgendwo, wo man hingeht, wir müssen in die Zukunft investieren“.