Der 20-jährige Matthijs de Ligt wechselte 2019 für 85 Millionen Euro von seinem Traumverein Ajax Amsterdam zu Juventus Turin. Der niederländische Nationaltrainer sieht in ihm den besten Innenverteidiger der Zukunft, die Juve-Fans hoffen auf den Champions-League-Titel mit ihm als Abwehrchef, ganz Holland träumt heimlich vom EM-Titel. Hat die Geschichte bald ein Happy End?
FRISCHES BLUT
Bis vor Kurzem las sich der Werdegang des im August 1999 geborenen Südholländers eher wie ein Märchen: Vor 12 Monaten kickte er noch in der Eredivisie für Ajax Amsterdam, wo er als Neunjähriger in die Jugend-akademie kam. In den Wochen bis zum Sommer 2019 jagte ein Karriere-Highlight das andere: Gewinn der Meisterschaft und des nationa-len Pokals sowie eine sensationelle Champions-League-Saison. Ajax hatte in der Vorrunde schon die Bayern „zeitweise an die Wand gespielt“, so de Ligt, kegelte dann Real Madrid und Juventus Turin aus dem Wettbewerb und hätte im Halbfinale beinahe Tottenham Hotspur geschlagen. He-rausragend in der Defensive und als Torschütze mit Köpfchen: Matthijs de Ligt. Der formulierte schließlich eine Liebeserklärung ganz nach dem Ge-schmack der Fans: „Ajax ist für mich der tollste Klub. Ich habe keinen an-deren Traumverein.“
MODERNES ABWEHRVERHALTEN
Es waren seine Abschiedsworte. Kurz darauf wechselte de Ligt als Königstransfer für 85 Millionen Euro zu Ju-ventus Turin. Frisches Blut für die alte Dame und eine Menge Geld für Ajax’ Fußballschule. Seitdem steht Shootingstar de Ligt in einem Kader mit Weltstars wie Paulo Dybala, Blaise Matuidi und Cristiano Ronaldo, auf der Bank sitzt zudem ein echtes Fußball- und Juve-Urgestein. Die über 40-jährige Torwartlegende Gianluigi Buffon entstammt fraglos einem anderen Fußballzeitalter. Als Buffon jung war, mussten Innenverteidiger vor allem grätschen und rennen können. Die Anforderungen sind vielfältiger geworden. Der 1,89 m große de Ligt vereinigte schon als Teenager kör-perliche Robustheit mit technischer Raffinesse und Spielintelligenz. In den Spielen der Königsklasse stellte er unter Beweis, dass er auch seine fei-nen Fähigkeiten im Spielaufbau auf höchstem Niveau abrufen kann. Kein Wunder, dass solche Leistungen Erwartungen schüren.
LEICHTE ANLAUFSCHWIERIGKEITEN
„Mit Druck umzugehen, muss man lernen“, findet Matthijs de Ligt. Allerdings hat der Youngster im Verlauf der jüngsten Serie-A-Hinrunde erstmals hautnah die Schattenseiten seines Jobs erlebt. Zumeist gab Trainer Maurizio Sarri Leonardo Bonuc-ci und Merih Demiral den Vorzug in der Innenverteidigung der Bianconeri. Ursprünglich hatte man mit dem dynamischen Twen-Duo de Ligt/Demiral im Abwehrzentrum gerechnet. Aber man kann sich vorstellen, dass ein Routinier wie der 95-fache italienische Nationalspieler Bonucci sich besonders motiviert zeigt, wenn ein hochgehandeltes Talent aus einer der renommiertesten Nachwuchs-leistungszentren Europas Ansprüche auf dieselbe Position anmeldet. Nach dem Motto: Uno momento, dem Bür-schlein werde ich es zeigen! Zudem herrscht unter den Klubs in der obersten italienischen Liga eine größere Leistungsdichte als in der niederländischen höchsten Spielklasse. Der ausgeglichene Kampf um Punkte an nahezu jedem Wochenende erschwert die Eingewöhnungszeit für einen jun-gen Spieler wie Matthijs de Ligt, der sich mit Lebensgefährtin AnneKee Molenaar auch an eine neue Sprache und andere Lebensumstände gewöh-nen muss. Von den Unterschieden zwischen der eher defensiv orientierten italienischen und der offensiv aus-gelegten niederländischen Fußballphilosophie ganz zu schweigen.
EINFACHES ERFOLGSGEHEIMNIS
Früh kamen Gerüchte auf, Ajax wolle sich den verlorenen Sohn auf Leihbasis zurückholen. Ein Geschäft, das für alle Beteiligten von Vorteil sein könn-te. Der Spieler sammelt im gewohnten Ajax-Umfeld weitere Spielpraxis und kehrt mit neu entbranntem Ehrgeiz zu Juventus Turin zurück. Vielleicht ist das aber gar nicht nötig. „Zum Glück lasse ich negative Dinge ganz schnell hinter mir“, beschreibt de Ligt sein Erfolgsgeheimnis. Und zu Be-ginn des Jahres profitierte er von ei-ner Verletzung Demirals, könnte also seine Chance bei Juventus womöglich im zweiten Anlauf nutzen. Aber für welchen Klub auch immer er in den nächsten Monaten spielen wird, die Unterstützung seines Nationaltrainers Ronald Koeman ist ihm gewiss. Die Euro 2020 wäre für de Ligt somit die beste Gelegenheit, um nicht nur Koeman diesen Vertrauensvorschuss zurückzuzahlen. Ein entscheidendes Kopfballtor im EM-Finale – und in den Niederlanden würde seine Geschichte zum Superhelden-Epos umgeschrieben werden.